Tuscheklecks trifft Seestern – und warum Frau Innovation und Herr Mülltonne kein Paar werden

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„Hallo junge Dame, wollen Sie etwas kreativ werden?“, rief mir die Frau mit ihrer fröhlich lauten Stimme von ihrem Stand aus zu und winkte mich zu sich. Ich befand mich auf der BrightonSEO, einer meiner Lieblingskonferenzen zum Thema Suchmaschinen Marketing. Die Vorträge waren bereits zu Ende und das bunte Abendprogramm hatte angefangen. Dank dem Stichwort „kreativ“ musste die Künstlerin nicht wirklich viel Überzeugungsarbeit bei mir leisten. Kurz darauf saß ich, als willige Zeichen-Schülerin an ihrem Tisch, um gemeinsam mit einigen anderen Konferenzteilnehmern in Picassos Welt einzutauchen. Nach einer guten Dreiviertelstunde blickte ich stolz auf meine fast fertige Tusche-Zeichnung: Es war ein Seestern, ausgeschmückt mit vielen detailverliebten Ornamenten. Schaut doch schon ganz gut aus, sagte ich zu mir selbst, nur noch ein paar Striche und dann ist es genauso wie die Vorlage. Hoch konzentriert zeichnete ich weiter. Und dann passiert es! Eine kleine Menge zu viel aufgenommene Tusche tropfte frech aus meiner Feder und landete mitten im Bild. Schockiert starrte ich auf den hässlichen Klecks, der mir innerhalb von Sekunden meine Arbeit der letzten 45 Minuten ruiniert zu haben schien. „Oh nein!“, „Ach, das ist aber schade!“ und „Das Bild ist ruiniert!“, hörte ich es aus der Zeichengruppe rufen und blicke in die mitleidigen Gesichter, die das Missgeschick live mitverfolgt hatten. Die Kursleiterin schaute auf ihre Armbanduhr und sagte dann mit einem Bedauern in der Stimme, „Es tut mir furchtbar leid, aber für ein neues Bild wird es leider nicht mehr reichen, wir schließen den Stand in 15 Minuten“.

Na wunderbar, dachte ich mir, da hatte ich so lange an diesem Bild gesessen, so viel Zeit investiert und das soll jetzt alles umsonst gewesen sein? Ich warf einen Blick auf meine schwarzen, in Tusche getränkten Fingerkuppen, und schielte danach auf die Mülltonne. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt den Bier-Gutschein, den ich in meiner linken Hosentasche habe, an der Bar einzulösen, schoss es mir für einen kurzen Moment durch den Kopf. Ich könnte jetzt einfach das Bild zerknüllen, das Ganze hier abbrechen und zur Bar laufen. NEIN, rief ich innerlich, das Bier kann warten! Du gibst jetzt sicherlich nicht einfach auf! Ich musterte mein ruiniertes Bild in aller Ruhe. Die ursprüngliche Zielsetzung war die Vorlage 1 : 1 nachzuzeichnen. Das war nun nicht mehr möglich. Ich brauchte einen anderen Ansatz. Die Zeit rannte. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich nahm die überschüssige Tinte mit einem Taschentuch auf und machte aus dem Klecks einen Kreis. Auf den gegenüberliegende Seiten des Kreises zeichnete ich noch weitere und wiederholte das ganze Prozedere über das ganze Bild hinweg. Das Bild veränderte sich dadurch und hatte nicht mehr viel mit der Vorlage gemeinsam, aber ich fand es besser; interessanter. Die Künstlerin schaute auf das Endergebnis und teilte mir begeistert mit, dass ich innerhalb kürzester Zeit meinen eigenen Stil entwickelt hätte.

Während ich auf das Trocknen der Zeichnung wartete, hatte ich einen meiner “AHA”-Momente.
Ich musste daran denken, dass Fehlschläge der Treibstoff für innovative Ideen sind. Innovation entsteht dort, wo man seine gewohnten (Denk-)Pfade verlässt. Ob wir uns aus unserer alltäglichen Gedanken-Komfortzone heraus bewegen und dies Früchte trägt, hängt von zwei Faktoren ab:

1. Wie innovationsfreudig und fehlertolerant das Umfeld ist, in dem wir uns bewegen (Unternehmenskultur)
2. Wie stark die eigenen Fähigkeiten entwickelt sind „Out-Of-The-Box“ zu denken

Wenn ich mich mit Leuten aus meinem europäischen Netzwerk über Innovation unterhalte, muss ich immer wieder feststellen, dass vor allem in Großunternehmen noch keine tief verwurzelte Fehlerkultur, die über alle Führungsebenen hinweg gelebt wird, existiert. Es wird noch viel zu oft der zielgerichtete Erfolg belohnt und somit das Gehen altbekannter, erfolgssicherer Pfade. Gleichzeitig wird jedoch Mitarbeitern nahegelegt regelmäßig innovative Ideen hervorzuzaubern. Den meisten Unternehmen ist bewusst, dass sie Innovation brauchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Paradoxe ist jedoch, dass im Unternehmensalltag kaum Raum dafür gegeben wird. Das führt dazu, dass die Mitarbeiter diese Skills, die es für das „Out-Of-The-Box“-Denken braucht, gar nicht erst entwickeln können – zumindest nicht im Unternehmensumfeld. Durch das Belohnen von Altbewährtem wird gleichzeitig auch die Motivation genommen, zu experimentieren. Das ruinierte Tuschebild landet quasi in der Mülltonne, denn das Ziel war ja die Vorlage 1 : 1 abzuzeichnen. Aufgabe nicht erfüllt! Note ungenügend! Manche werden jetzt vielleicht aufschreien und sagen, aber es gibt ja Innovationsabteilungen. Ja, die gibt es! Doch die Fehlerkultur sollte nicht nur in einem Mikrokosmos gelebt werden, sondern über Abteilungsgrenzen hinweg!

Der Buchautor Mike Malone bezeichnete einst das Silicon Valley, das weltweit als die Innovations-Schmiede gilt, als einen Friedhof – und zwar als den Friedhof der gescheiterten Projekte. Ich finde, dass das ein herrliches Bild ist. Das Scheitern ist die größte Stärke des Silicon Valley. Jedes gescheiterte Projekt ist eine im kollektiven Gedächtnis gespeicherte Lektion. Das Versagen wird nicht stigmatisiert, sondern bewundert. Man lernt aus den Fehlern und daraus entstehen dann neue Produkte oder Geschäftsmodelle. Amazon und Google sind die besten Beispiele. Wie oft haben diese Firmen Ressourcen in Projekte investiert, die sie am Ende eingestellt haben. Die Learnings daraus haben diese Unternehmen jedoch erfolgreich in neue Produkte einfließen lassen. Goodbye Mülltonne. Tom Kelly, Geschäftsführer der Innovations Agentur IDEO rät: „Scheitere oft, damit du schneller Erfolg hast“.

Fail often so you can succeed sooner

 

Wie kannst du als Teamleader diese Fehlerkultur in deiner Abteilung etablieren?

3 Tipps zum Kreieren einer Friedhofs-Kultur à la Silicon Valley

 

1. Schaffe Freiräume für Innovation
Das Entwickeln von Ideen braucht Zeit und kann nicht mal eben in der Kaffeepause erledigt werden. Wenn es im Tagesgeschäft viel zu tun gibt, setze Prioritäten. Wenn Innovation wichtig ist für das Unternehmen, dann muss auch ein bestimmter Anteil der Arbeitszeit dafür zur Verfügung gestellt werden. Punkt!

2. Zelebriere Fehlschläge
Gehe das Risiko ein, dass die Ideen im ersten Anlauf keine Früchte tragen. Rede nicht von gescheiterten Projekten, sondern von den Learnings. Belohne Experimente, feiere den Mut der Mitarbeiter und teile das daraus gewonnene Wissen abteilungsübergreifend. Genauso schaffst du einen Mindsetshift und trainierst das „Out-Of-The-Box“-Denken.

3. Pläne sind gut, aber versuche agil zu bleiben
Innovation benötigt einen gewissen Spielraum. Man kreiert etwas, testet es, passt es an und ggf. muss man bereit sein, von seinem Ursprungsplan abzuweichen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Geschichte der Jacuzzi Brüder, die in den 50ern den Whirlpool erfunden haben. Ihre Zielgruppe waren unter Arthritis leidende Menschen, die den Whirlpool als Therapiebecken nutzen sollten. Obwohl das Produkt an sich gut war, floppte es. Die Verkaufszahlen waren miserabel. Doch sie gaben nicht auf und verwarfen ihre Produktidee nicht. Sie betrieben intensive Recherchen, passten den Whirlpool an und richteten ihn auf eine völlig andere Zielgruppe aus. Er wurde zum Luxusprodukt für Reiche. Das Umdenken der Brüder wurde belohnt. Der Whirlpool wurde zum Verkaufsschlager. Fehlschläge sind also niemals für die Mülltonne, sondern tragen zum Erfolg des nächsten Projekts oder der nächsten Geschäftsidee bei.

Was sind deine Gedanken zum Thema Innovation und Fehlerkultur? Ich freue mich von dir zu lesen.

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2 thoughts on “Tuscheklecks trifft Seestern – und warum Frau Innovation und Herr Mülltonne kein Paar werden

  1. Cooler Artikel. Ich glaube, Innovation benötigt auch Mut, weil es das Scheitern so unverzichtbar beinhaltet. Scheitern = Unberechenbarkeit.
    Liebe Grüsse, Brigitte

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar liebe Brigitte. Ja, Mut gehört definitiv auch dazu zum Scheitern, da man sich vermutlich sonst nicht aus seiner Komfortzone wagt. Da hast du absolut recht.

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